Informationen von der Plattform IG Waldviertel über Pläne zum Windkraftausbau im Raum Waidhofen an der Thaya hat die Plattform Lebenswertes Waldviertel auf den Plan gerufen.
Laut IG Waldviertel sieht der gegenwärtige Ausbauplan folgendermaßen aus:
Sofort fällt auf, dass sich bis auf wenige Ausnahmen alle geplanten Windkraftanlagen und alle Windparks in geschlossenen Waldgebieten befinden.
Hier ein kurzer Überblick:
WA 07, Radlbachwald: 7 Windkraftanlagen, Höhe 285 m
WA 09, Hartwald: 10 Windkraftanlagen, Höhe 260 m
WA 10, Predigtstuhl: 6 Windkraftanlagen, Höhe 260 m
WA 11, Sieghartsberg: 15 Windkraftanlagen, Höhe 285 m
WA 15, Wild: 10 Windkraftanlagen, Höhe 241 m
Macht insgesamt 48 Windkraftanlagen mit Höhen zwischen 241 und 285 Metern mit einer geschätzten Gesamtleistung von ca. 250 Megawatt.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Plattform Lebenswertes Waldviertel hält den Windkraftausbau als unverzichtbaren Bestandteil der Energiewende für notwendig und lehnt ihn nicht generell im Bezirk Waidhofen an der Thaya ab. Die Klimakrise ist eine Tatsache, der u.A. mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien Rechnung getragen werden muss, wollen wir nicht unser aller gesellschaftliche, ökonomische, aber auch ökologische Basis gefährden.
Allerdings ist es zu kurz gegriffen, alleine die Klimakrise in den Fokus zu nehmen. Vielmehr handelt es sich um eine Klima- und Biodiversitätskrise. Seit dem „giant leap“ nach dem Ende des 2. Weltkriegs, der mit einer ungeheuren Vervielfachung von Industrie, Wirtschaft, Handel, Verkehr und Technologie einherging, hat sich die natürliche Aussterberate von Tier- und Pflanzenarten durch Lebensraumzerstörung, Umweltzerstörung, industrielle Landwirtschaft, Klimawandel etc. in etwa vertausendfacht. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts werden vorsichtigen Schätzungen zufolge 25% aller Tier- und Pflanzenarten ausgestorben sein, und die globale Temperatur sich – nach jetzigem Kurs unserer Gesellschaft – um schätzungsweise 3°C erhöht haben.
Für das Waldviertel bedeutet das in den nächsten Jahrzehnten eine Erhöhung der Mitteltemperaturen um ca. 5°C und den Wandel vom gemäßigten Mischwaldklima hin zur subtropischen Lorbeerwaldzone (bzw. Mittelmehrklima). Diese Entwicklung können wir alleine nicht verhindern, sondern nur eine gesammelte, entschlossene Abkehr von fossilen Energieträgern der ganzen Menschheit auf der Welt.
Vor allem unsere Wälder, und damit das Rückgrat der hiesigen Biosphäre, geraten dadurch unter erheblichen Druck, denn Bäume haben eine lange Lebenszeit, entsprechend langsam wandeln Wälder sich selbst unter verändernden klimatischen Bedingungen. Auf der anderen Seite erfüllen Wälder ganz wichtige Aufgaben für den Klimaschutz. Sie binden CO2, sind wichtige Wasserspeicher und Wasserfilter, sorgen im Sommer für Kühlung und schützen im Winter vor Kälte, besitzen ein gesundes Mikroklima und sind nicht zuletzt die Heimat vieler Tiere und Pflanzen.
Das alles muss berücksichtigt werden, wenn von der Energiewende und vor allem dem Ausbau der Windkraft die Rede ist.
Denn obwohl Windenergieanlagen zu den effizientesten, schonendsten Stromerzeugern mit den geringsten CO2-Emissionen und dem geringsten Bodenverbrauch zählen, so stellen sie besonders bei Waldstandorten trotzdem eine Belastung für ihre Umwelt dar.
- Durch die Baumaßnahmen gibt es eine langfristige Schädigung des Waldes. Kilometerlange Zufahrtstraßen müssen für schwere Baufahrzeuge neu angelegt und neue Stromleitungen verlegt werden, was Bodenverdichtung und Schlägerungen für dauerhaft offene Flächen (Kranabstellplätze,etc) bedeutet.
- Durch diese Rodungen entstehen viele für den Wald gefährliche Windangriffsflächen. Vor allem für Bodenbewohner droht eine Zerschneidung vorher geschlossener Lebensräume. Auch sollte berücksichtigt werden, dass die Entstehung von 1cm Waldboden etwa 100 Jahre dauert.
- Häufig thematisiert werden Vogelschlag, sowie die Tötung von Fledermäusen und Fluginsekten. Während bei einzelnen Windkraftanlagen häufig kaum Auswirkungen auf ihre Umwelt beobachtet wurden, ließ sich bei hoher Dichte von Windkraftanlagen teilweise eine deutliche Abnahme von örtlichen Rotmilan-, Schwarzstorch und Adlerpopulationen, sowie anderen seltenen Tierarten beobachten. Dies lag offenbar nicht nur am Vogelschlag (der nach reinen Zahlen tatsächlich im Vergleich zu Autos und Katzen vernachlässigbar erscheint), sondern auch an der Störung des von den Tieren genutzten Luftraumes, der sie neue Brutgebiete aufsuchen ließ.
Wie sieht es diesbezüglich im Bezirk Waidhofen oder überhaupt im nördlichen Waldviertel aus? Hier gibt es keine wirklich ausgedehnten Waldgebiete, außerdem sind sie durch Ackerbau voneinander isoliert. Damit kommt den Wäldern im Bezirk Waidhofen eine besondere Rolle als Biodiversitäts-Hotspot zu, besonders in Verflechtung und Interaktion mit den vielen Fischteichen und der naturnahen Kulturlandschaft.
Unter anderem befindet sich hier der Jägerteichkomplex, eine österreichweit einzigartige Teiche- und Mischwaldlandschaft mit insgesamt 19 Teichen, ausgewiesen als Natura 2000 Europaschutzgebiet „Waldviertler Teich- Heide- u. Moorlandschaft“ bzw. „Waldviertel“ (Vogelschutzgebiet u. Flora-Faunahabitat!). Diese Teiche weisen eine sehr hohe natürliche Bonität auf, dadurch ist hier die Individuenanzahl und Artenreichtum von Tieren, besonders Vögeln, außerordentlich groß. Tägliche Sichtungen von Seeadlern sind schon Normalität, es brütet zB. der Rotmilan aber auch sehr viele andere Vogelarten (Weihen, Enten,Taucher, Spechte, uvm.) hier. Die Grauganspopulation mit gut 100 Individuen ist ebenfalls nicht zu verachten. Es gibt auch vermehrt Schwarzstorchsichtungen.
Sehr viele dieser Vögel sind naturgemäß regelmäßig in der Luft (Seeadler, Schwarzstorch, Rotmilan Graugans, etc) und haben Flugkorridore genau über geplante Windkraftzonen.
Die Windkraftzone Radlbachwald ist Naherholungsgebiet von Waidhofen a.d. Thaya und beheimatet unter anderem die Schwarzstörche, welche regelmäßig in alle Richtungen ausfliegen.
Desweiteren schlängelt sich der Fluss Thaya ebenfalls Natura 2000 Europaschutzgebiet (Flora-Fauna-Habitat, „Waldviertler Teich-, Heide- u. Moorlandschaft“) entlang der meisten geplanten Windkraftzonen.
Der Jägerteichkomplex, die umliegenden Waldgebiete und die Thaya bilden gemeinsam einen unschätzbar wertvollen Naturlebensraum.
Die geplante Windkraftzone Wild ist wiederum Österreichs einziger regelmäßiger Brutplatz der Kornweihe!
Es liegt auf der Hand, dass es sich bei diesen geplanten Windkraftzonen um äußerst sensible und schützenswerte Naturlebensräume handelt, darum sollten diese schon aus Naturschutzsicht als Ausschlusszonen eingestuft werden.
Das relativiert auch die Haltung: „Zuerst müssen Teile der Natur geopfert werden, damit wir langfristig die Natur als Ganzes schützen können.“
Nicht, dass sie völlig falsch wäre, aber es gilt sich dabei zu fragen, wieviel Natur noch übrig ist, und was davon überhaupt noch geopfert werden kann…
Bei der Standortwahl Waidhofen a.d. Thaya stellen sich außerdem weitere Fragen:
- Das Windenergiepotenzial
- Der nötige Netzanschluss
- Die Entfernung zu den nächsten Verbrauchern
- Die Transparenz und Einbindung der Bevölkerung
Das Windpotenzial ist relativ leicht am Global Wind Atlas einzusehen: globalwindatlas.info
Hier zuerst ein Blick auf die Gesamtsituation in Österreich:
Sofort wird deutlich, dass es im Norden und Osten ausgedehnte Gebiete mit günstigen Windbedingungen gibt. Im Marchfeld und im östlichen Weinviertel, sowie dem Nordburgenland hat die Windkraft 200 m über dem Boden verbreitet eine Energiedichte von 700-800 Watt/m². Dort stehen daher auch die meisten Windkraftanlagen:
Im Westen und Südwesten Österreichs steht hingegen noch kein einziges Windrad, obwohl auf den Bergen und Bergkämmen außerordentlich gute Bedingungen herrschen und Energiedichten von über 2.000 Watt/m² im Jahresmittel erreicht werden. Selbstverständlich muss auch hier der Natur- und Umweltschutz berücksichtigt werden, jedoch scheint das Gebiet groß genug, um eine geeignete Auswahl treffen zu können.
Das nördliche Waldviertel bietet im Übrigen keinesfalls bessere Bedingungen als das östliche und nordöstliche Flachland, wie folgender Kartenausschnitt zeigt:
Nicht nur das östliche Weinviertel ist besser geeignet, sondern auch das südliche Waldviertel, wo über dem Ostrong-Massiv Windenergiedichten von 1.000-1.200 Watt/m² erreicht werden. Selbst der Wiener Wald bietet mit bis zu 900 Watt/m² bessere Windbedingungen als der Wieninger Rücken östlich von Waidhofen a.d. Thaya oder die Wild nördlich von Horn. Außerdem befindet er sich in viel größerer Nähe zu den großen Energieverbrauchern der Großstadt Wien.
Dieser Hinweis soll jedoch nicht als eine Haltung von „Windkraft ja, aber bitte nicht bei mir!“ missverstanden werden. Denn das Argument von ungestörtem Naherholungsraum und ökologisch wertvollem Gebiet gilt ja auch für den Wiener Wald (oder das Alpenvorland).
Der nächste Punkt ist der nötige Netzanschluss bzw. die Möglichkeit, die Stromerträge rasch und effizient zu den Stromverbrauchern zu liefern, ohne Stromnetz und Transformatoren/Umspannwerke zu überlasten. Großen Stromverbrauch haben naturgemäß große Ballungszentren und Industrieansiedlungen. Je näher die großen Windparks an solchen großen Energieverbrauchern stehen, umso leichter und effizienter ist auch der Netzanschluss bzw. die Stromübertragung. Die Stromverluste selbst einer 110 KV Starkstromleitung, wie sie Waidhofen versorgt, betragen pro 100 km bereits 6%. Da an Land kein stetiger Wind herrscht und das Stromangebot aus Windkraftanlagen daher stark schwankt, ist es sowieso unumgänglich, einen Ausgleich durch Photovoltaik und große Energiespeicher zu schaffen.
Das Waldviertel ist auch heute noch dünn besiedelt und hat keine großen Industrieanlagen. Es ist ein von Agrar- und Forstwirtschaft geprägtes Land, dessen Bevölkerung sich mit Photovoltaik und Windenergie sogar autark versorgen könnte. Nichtsdestotrotz muss auch hier ein Überschuss an Erneuerbaren Energien geschaffen werden, ansonsten ist die Energiewende nicht zu schaffen. Bevor an einen Ausbau der Windkraft im nördlichen Waldviertel gedacht werden kann, müssen jedoch die entsprechenden Leitungskapazitäten geschaffen werden. Heute stehen die Rotoren im Windpark Japons jedoch häufig selbst bei günstigen Windbedingungen still, weil die Hochspannungsleitungen und/oder die Umspannwerke mit dem vorhandenen Strom übersättigt sind.
Am sinnvollsten ist es daher, den Ausbau der nötigen Starkstromleitungen in der Nähe von Ballungszentren und Industriegebieten zu beginnen und parallel dazu den Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und Speichermöglichkeiten ebenfalls dort zu starten. Die Strategie, die Energieerzeugung möglichst von den Energieverbrauchern abzukoppeln, sodass sie aus deren Sicht möglichst unsichtbar wird, ist überholt.
Für das Waldviertel bedeutet das, vorerst seinen eigenen Ausbau von Erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Windenergie, Speicher, Netzausbau) voranzutreiben und diesen Ausbau nach seinem eigenen Bedarf auszurichten. Gerade das Niederspannungsnetz braucht aufgrund der stark gestiegenen Anzahl an privaten Photovoltaikanlagen eine dringende Überholung und Anpassung. Die Windkraft hat ihren Platz wiederum beim Hochspannungsnetz, das die ganze Region zuverlässig versorgen muss. Und Speichermöglichkeiten gibt es immer noch viel zu wenige. Hier wären große Elektrolyseanlagen mit Brennstoffzellen wichtig, die per Fernwärme den Heizbedarf von Städten und Gemeinden effizient abdecken könnten. Dadurch würde wiederum der Bedarf nach Biomasse sinken, was wiederum den Wäldern zugute käme.
Letztere sind besonders im oberen Waldviertel im Bezirk Waidhofen a.d. Thaya ein schützenswertes Gut, da in eine alte, kleinräumige Kulturlandschaft mit seltenen Tier- und Pflanzenarten eingebunden.
Eine Windkarte der Gegend zeigt, dass die optimale Ausbeute am Wieninger Rücken bei maximal 820 Watt/ m² liegt, während der Radlbachwald oder auch der Hartwald deutlich unter diesen Werten liegen:
Hingegen gibt es nordöstlich, östlich und südlich davon genügend hochliegende Ackerflächen, die Erträge von bis zu 600 Watt/m² versprechen, was 20% unter den besten Erträgen am Predigtstuhl liegt. Dieser geringe Unterschied rechtfertigt aus Sicht der Plattform Lebenswertes Waldviertel, im Gegenzug für geringeren Ertrag ein viel größeres Mehr an Arten-, Wald- und Diversitätsschutz zu gewinnen.
Dies steht auch im Einklang mit dem an immer größerer Bedeutung gewinnenden Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (siehe hier: Drei-Säulen-Modell (Nachhaltigkeit) – Wikipedia) Denn längst ist klar geworden, dass eine primär ökonomisch-wirtschaftliche Haltung besonders bei großen Bau- und Industrieprojekten überholt ist. Als zu groß erwiesen sich die ökologischen, häufig auch sozialen Wunden, die solche Megabauten besonders in unpassender und/oder mangelhaft eingebundener Umgebung rissen.
Egal, ob diese drei großen Bereiche nun gleichrangig oder vorrangig angesehen werden: Die Haltung, dass ein Mehr an Wirtschaftswohlstand automatisch ein Mehr an sozialem Wohlbefinden nach sich zieht (bei Vernachlässigung der Umwelt), ist längst veraltet und überholt. Die Herausforderung der Vergangenheit war, die weitverbreitete Armut zu überwinden, die Herausforderung der Zukunft ist, den gewonnenen Wohlstand nicht nur gerecht unter der Bevölkerung zu verteilen, sondern auf den gesamten Lebensraum der Ökosphäre.
Dies schließt selbstverständlich auch die Bewohner der Region ein, die bei der Planung der großen Windprojekte im Raum um Waidhofen an der Thaya bisher nur gering bis gar nicht eingebunden worden sind. Aus demokratiepolitischer Sicht ist dieses Vorgehen äußerst kritisch zu sehen, weil der Eindruck entsteht, dass an wesentlichen Teilen der Zivilbevölkerung vorbei entschieden wird, was NICHT dem aktuellen demokratischen Standard entspricht.
Große Energieprojekte sind nicht nur mit viel Macht und Einfluss verbunden, sondern auch mit großer Verantwortung. Diese gilt nicht nur der Bevölkerung gegenüber, sondern auch dem Land, der Kultur und der Ökologie.
Ein zeitgemäßes Instrument, diese Verantwortung möglichst gerecht zu verteilen, stellen Bürgerräte dar, wie sie bereits in der Landesverfassung des Landes Vorarlberg festgehalten sind.
Wir sprechen uns daher für das Format eines Bürgerrates aus (siehe Bürgerparlament – Wikipedia), der sich mit den Fragen nachhaltiger Energieversorgung der Region beschäftigen soll, unter Einbeziehung fachlich kompetenter Experten und erfahrener Moderation. Dessen Ergebnisse und Empfehlungen sollen verbindlich sein und daher auch von den politischen Entscheidungsträgern zu befolgen sein. Denn Entscheidungen von solcher Tragweite, wie die Standorte großer Windparks, sollten nicht mehr in den Händen einiger Weniger sein, sondern auf einem großen Konsens in der Bevölkerung aufgebaut sein. Nur dann wird die Energiewende auch eine nachhaltige, tragfähige Basis besitzen.
Das Drei-Säulen-Modell bzw. Vorrangmodell der Nachhaltigkeit versucht dem Rechnung zu tragen, indem es einen Paradigmenwechsel bei der Wertschöpfung voraussetzt: Nicht nur wirtschaftlich kann ein Mehrwert geschaffen werden, sondern auch auf sozialem Gebiet und in Bezug auf Klima- und Umweltschutz: